Sonntag, 29. November 2015

Sei mir ein Vater









ISBN: 978-3-462-04832-2
Erschienen am: 12.11.2015
432 Seiten, gebunden









Tochter meines Herzens

Hanna wollte ein Rätsel lösen, am liebsten ein wertvolles Gemälde herbeizaubern und ihrem Vater eine gute Zeit bescheren, Hermann wollte sich vom Sterben ablenken, und sie, Lilie, wollte mittlerweile vor allem mehr über ihre Urahnen erfahren.“ (S. 221)


„Sei mir ein Vater“ spielt auf 2 Zeitebenen. Da sind zum einen Lilie aus Paris, ihre Freundin Hanna und deren Vater Hermann in Deutschland im Heute. Auf der anderen Seite ist Georgette Agutte, eine Ururahnin von Lilie, deren Vater schon vor ihrer Geburt verstarb und ihr ein Bild hinterlassen hat (er war Maler). Ausgerechnet dieses Bild, welches seit Jahren in Lilis Abstellkammer verstaubt, versuchen Einbrecher zu rauben und schlagen Lilie dabei nieder.
Als Hanna Lilie anruft, weil Hermann Krebs im Endstadium hat, reist sie sofort nach Deutschland. Zu ihrem eigenen Vater hat Lilie kein richtiges Verhältnis, er war nie da, und Hermann ist seit einem Schüleraustausch der „Vater ihres Herzens“.
Natürlich erzählt Lilie von dem Raubversuch. Sie hat das Bild sogar dabei und in der Hoffnung, es könnte etwas wert sein, bringen sie es zu einem Restaurator. Während dieser versucht, mit seinen Methoden mehr über das Bild und dessen Maler zu erfahren, schlägt Hermann vor, mehr über Lilies Vorfahrin Georgette und damit vielleicht auch das Bild herauszufinden. Hanna und Lilie sorgen sich zwar sehr um seine Gesundheit, aber er setzt sich durch: „Es ist mein letzter Krimi, und dabei führe ich Regie und spiele die Hauptrolle. Es ist mein Leben, und ich entscheide, wie es zu Ende geht.“ (S. 123)
Es beginnt also eine spannende Schnitzeljagd quer durch Frankreich, immer auf Georgettes Spuren und denen ihres Lebens. Immer mit der Angst im Nacken, ob Hermann das Ende der Suche noch erlebt und ob sie wirklich etwas finden. Es kursiert nämlich das Gerücht, dass Georgette einen unbekannten Matisse besaß, der seit ihrem Tod verschwunden ist ... Denn die heute fast vergessene Malerin war zu ihrer Zeit gar nicht so unbekannt. Sie gehörte zur einflussreichen Oberschicht und war mit vielen bereits berühmten Malern befreundet und solchen, die es erst später werden sollten. Sie und ihr Mann waren passionierte Kunstsammler, da ist die Vermutung, sie könnten Raritäten besessen und versteckt haben, gar nicht so abwegig ...

Ich fand den Einstig in das Buch sehr gut. In Paris war ich in dem Moment angekommen, als Lilie den Code für die Haustür eingegeben hat J. Das kenne ich noch von meinen Paris-Besuchen.
Auch Georgettes Leben wird sehr anschaulich beschrieben, die Stimmungen, Farben und Gerüche haben es sehr lebendig gemacht. Gewürzt wurde ihre Geschichte durch die Anekdoten und Begebenheiten mit Künstlern und Persönlichkeiten aus ihrem Umfeld.

Hanna und Lilie sind wie Pech und Schwefel. Sie halten besser zusammen, als manches Schwesternpaar. Aber es gibt natürlich auch Eifersüchteleien, weil Lilie nach über 20 Jahren immer noch ein Teil von Hermanns Leben ist. "Aber nur weil dein Vater mich auch ein bisschen gern hat, heißt es nicht, dass er dich weniger liebt. Die Liebe ist ja nicht wie ein Kuchen, bei dem es nur eine bestimmte Anzahl von Stücken gibt. Ich nehme dir nichts weg. " (S. 80)
Im Gegensatz zu Hermann kommt Lilies Vater nicht gut weg. Er war nie für die Familie da, hat ihre Mutter nicht geheiratet, taucht aber immer dann auf, wenn er wieder mal pleite ist. Ich würde ihn als „Lebemann“ bezeichnen. Und auch Lilies Mutter ist nicht gerade einem Bilderbuch entstiegen. Sie sorgt sich nach dem Überfall mehr um Lilies Hund als um ihre Tochter, aber um ihren Enkel kümmert sie sich rührend. Irgendwie verändert sich mein Verständnis von ihr im Laufe der Handlung ständig. Wahrscheinlich rührt aus diesem „Kudelmuddel“ mit ihren Eltern ihre tiefe Beziehung zu Hannas Familie, bei ihr hat sie sich das erste Mal aufgehoben und geborgen gefühlt, etwas, was ihr ihre eigenen Eltern nie bieten konnten.

Georgette Agutte ging es ähnlich. Ihr Vater ist noch vor ihrer Geburt bei einem Unfall verstorben. Ihr ist nur ein von ihm gemaltes Bild geblieben. Er fehlt ihr so sehr, dass sie ihm ihr Leben lang immer wieder Briefe schreibt und diese im Bilderrahmen befestigt. Als Frau und Künstlerin war sie sehr umstrittenen. Entweder war sie ihrer Zeit weit voraus und selbstbewusster, als es ihr damals eigentlich zustand, oder aber wirklich „nur“ das Anhängsel ihres Mannes, wie Zeitgenossinnen hämisch geschrieben haben. Auch die Kritiken über ihre Werke gingen damals weit auseinander. Sie selber war wohl nie so richtig mit ihren Arbeiten zufrieden.

Beide Frauen suchen ihren Platz im Leben. Georgettes Zerrissenheit als Frau und Künstlerin gegen Lilies Haltlosigkeit im Leben: sie hat ein Kind aber keinen Vater dazu, keinen Job, keine Perspektive, keine Visionen. Beide suchen Anerkennung und Bestätigung immer nur bei andern, weil die vom Vater fehlt.

Besonders erschreckend fand ich die Parallelen, wie Georgette und ihr Mann im 1. WK quer durch Europa reisen, immer dahin, wo es gerade sicher ist. Ich möchte nicht in so einer Zeit leben, aber wenn ich mir die Situation jetzt gerade anschaue, ist es doch sehr aktuell.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen, es ist ein wunderbarer Roadtrip durch Frankreich und seine und Georgettes Geschichte. Außerdem konnte man wie in einem Krimi mit raten, was nun als nächstes passiert und ob der aktuelle Hinweis brauchbar ist.
Es gibt nur ein kleines Manko: Lilies Sohn und ihr Hund gehen irgendwie unter. Sie werden zu Beginn und zwischendrin zwar ab- und an kurz erwähnt, verschwinden dann aber wieder – so, als wären sie in ihrem Leben gar nicht vorhanden. Und wenn sie dann wieder erwähnt werden, denkt man „Huch, stimmt ja, die gibt’s ja eigentlich auch noch.“

Deshalb vergebe ich hier sehr gern 4 Sterne und empfehle es allen Liebhabern von Frankreich, Kunst und spannenden Familiengeschichten.

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